Alle Dinge, die mit großem Ernst getan werden, bewegen sich auf dem schmalen Grat zwischen Erhabenheit und Lächerlichkeit. Wichsen zum Beispiel, aber auch Buddhismus, Hochzeiten, Trennungen, Yoga, Brathähnchen. Aber ich will hier nicht über Brathähnchen sprechen, sondern über Lana Del Rey.
Brathähnchen gibt es … Moment. Also, es gibt seit dieser Woche ein neues Lana Del Rey Album Ultraviolence, was die, die es interessiert, schon wissen, und denen, die es noch nicht wissen, auch weiterhin hart am Arsch vorbeigehen wird. Es ist ein bisschen lahmer als der Vorgänger, wenn man nicht auf Balladen steht. Mir ginge es auch am Arsch vorbei, wenn nicht vor einigen Monaten folgendes passiert wäre:
Ich lernte an einem Dezemberabend letzten Jahres eine junge Frau kennen, die jene Faszination ausstrahlte, wie sie jungen Frauen an Dezemberabenden zuweilen eigen ist. Es war kalt. Sie stellte mich ihrem Ehemann vor, der aus Gründen, die mir bis heute unbekannt sind, einen roten Bademantel trug, und wir unterhielten uns eine Nacht lang über Sternzeichen. (Sie kamen aus dem Osten, und die Osteuropäer haben alle einen Knall, was das betrifft.)
Jedenfalls beschlossen diese beiden, den ganzen scheiß Abend Born To Die zu hören. Genau genommen: Die erste Hälfte von Born To Die. Ich versuchte, etwas anderes anzumachen, wurde ausgebuht, oder stillschweigend boykottiert. „Born to die“, „Of To The Races“, „Blue Jeans“, „Video Games“, „Diet Mountain Dew“. „Born To Die“, „Off To The Races“, „Blue Jeans“, „Video Games“, „Diet Mountain Dew“… Ich glaube, es war einfach Sadismus. „Born To Die“, „Off To The Races“, … Über Stunden. „Born To Die“, „Off To …“ Es war gleichzeitig schön, schrecklich, und noch schrecklicher, weil ich die Musik tatsächlich zu mögen begann.
In den frühen Morgenstunden schaffte ich es zu entkommen, und schlich nach Hause. Unterwegs kaufte ich in einer leeren Bäckerei einen Kaffee. Das Geräusch des Milchschäumers klang wie ein nach innen gerichteter Schrei.
Ich habe in den letzten Monaten viel über explodierende Wale gelesen. Ich weiß nicht, ob es dem Leser ein Begriff ist, aber angeschwemmte Wale explodieren gelegentlich, wegen der Fäulnisgase und so. Was vermutlich gut ist, denn man stelle sich vor, man wohnt in so einer Kleinstadt an der Küste, und auf einmal wird ein Vierzigtonner angeschwemmt, und wie kriegt man ihn dann weg? Manchmal bringt man Wale auch mit Sprengstoff bewusst zum Explodieren etc. etc., um das Ganze kurz zu machen:
Seit jener Nacht lag Lana Del Rey an der Küste meines Herzens wie ein explodierter Wal.
Sie war nicht zu übersehen, sie war massiv, sie stank durchdringend, sie war selbst in mühevoller Kleinarbeit nicht so einfach wegzuschaffen. Born To Die geisterte wochenlang durch mein Innerstes. Ich schätze, ich kann die Lyrics zu jedem einzelnen Song mitsingen. Sie wurden in mein Hirn eingefräst.
Lana Del Rey wollte kein zweites Album machen, weil sie das Gefühl hatte, in Born To Die schon alles gesagt zu haben. Ich wollte eigentlich keinen Text über Lana Del Rey schreiben, weil ich das Gefühl habe, dass alles, was man über sie sagen kann, schon gesagt wurde. In diesem Sinne: Fick dich, Internet. Mir ist egal, ob sie sich ihre verdammte Lippen hat aufspritzen lassen. Mir wäre es sogar egal, wenn sie sich ihre Schamlippen unter die Nase verpflanzen lässt. Wer sich die Mühe macht, ihr Gesamtwerk durchzuackern, wird feststellen, dass es sich dabei um ein hochwertiges Kunstprodukt handelt, das derzeit seinesgleichen sucht. Zumal mitunter die Wahrhaftigkeit in famoser Art und Weise hindurchbricht, wie unter anderem in Noir:
„He said ‚you’re not a real girl You’re like a cartoon All caught up in this fame game Yo, good luck, good luck, good luck May all the stars in the sky Bow down to you, we’re through.“ Mehr braucht man eigentlich nicht zu sagen.
Lana Del Rey redet ständig davon, dass sie lieber tot wäre. Sie soll sich meinetwegen umbringen (oh Gott, wie sie leidet, mit ihren Millionen und ihren Millionen Fans und DIESER DRUCK, und ihre Biker-Gang-Vergangenheit, schlimm das alles), aber bevor sie sich umbringt, würde ich sehr gerne noch zu ihrem Konzert in der Zitadelle diesen Freitag gehen, das Gemurmel der Medienvertreter auf lautlos stellen und lauschen. May all the stars in the sky bow down to you.
(c) Juliane Liebert 2014, veröffentlicht auf Noisey
Foto (c) Nicole Nodland