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städte

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[zuerich]

in zuerich wird man permanent vom panorama verarscht.

alles ist ein bisschen weiter voneinander entfernt als in anderen städten, damit mehr platz für licht zwischen den dingen ist. dementsprechend ist der abstand der menschen beim nebeneinandergehen gröfler als anderswo. sie arbeiten nie, sondern flanieren ununterbrochen um den see. dabei essen sie ungeheuer süfle oder ungeheuer herzhafte sachen und duften. alles riecht gut und glänzt. selbst die lackfarben der baustellen duften bananig. es gibt je penner zirka hundert parkbänke.

wenn man aus dem bahnhof in die promenade tritt, hat man den eindruck, dass das material des stadtautors nicht für eine ganze strafle gereicht hat. deshalb hat er via copy paste immer wieder die ersten fünf häuser eingefügt (parfümerie, modeladen, restaurant, h&m, modeladen, coopers, h&m, parfümerie, restaurant, h&m). das cabaret voltaire ist ein souvenirshop. auf das viertel um die spiegelgasse möchte man eine briefmarke kleben und es verschicken.

zuerich ist schön. in zuerich schieflt die polizei mit tränengas auf in bahnen party machende kids. der buergermeister kommentiert das ironisch. zuerich pulsiert nicht, es puckert. wie ein eingeschlafener fufl in einem neuen schuh.

(2008)

 

[greifswald]

in greifswald kann man nichts tun, als abends am hafen zu sitzen, ins wasser zu sehen und zu trinken. darum kann man greifswalder weltweit anhand der anzahl und anordnung ihrer mückenstiche identifizieren.

wenn ein greifswalder mehr als einmal mit demselben mädchen in den supermarkt geht (z.b. um bier zu kaufen, dass sie dann gemeinsam am hafen sitzend ins wasser schauend trinken wollen), wird das gesellschaftsintern als eine art heiratsantrag gewertet. das mag übertrieben scheinen, ist es aber nicht: da die kombinationsmöglichkeiten, in denen personen in greifswald gemeinsam in den supermarkt gehen können, relativ begrenzt sind, liegt die trefferwahrscheinlichkeit solcher annahmen bei 70 prozent.

alle greifwalder sind lebenslang so’n bisschen was über zwanzig. verlässt ein greifswalder unvorsichtigerweise die stadt, altert er innerhalb von sekunden um jahrzehnte und erkrankt an etwas namens -arbeitsalltag-. er stirbt schnell, weil er in greifswald niemals antikörper dagegen bilden musste.

(2008)

 

[hamburg]

hamburg ist groflartig.

in hamburg heiflt alles anders. edeka heiflt “frischemarkt kruczinski”, schlecker heiflt “budnikowski” – das ist schon mehr, als die auffassungsgabe des durchschnittlichen mitteleuropäers verkraftet. und: das ist erst der anfang.

in hamburg sind die ubahnpläne an den decken der ubahnen, wahrscheinlich, weil man auflerhalb der ubahnen in hamburg nie nach oben sehen kann, ohne irgendwas ins gesicht zu kriegen. in hamburg regnet es ununterbrochen. schätzungsweise seit jahren. sonnabend war die ausnahme. da hats geschneit.

in hamburg wollte ich menschen besuchen, die im dom arbeiteten. es gibt aber in hamburg keinen dom. es gibt auch keinen hafen, das ist ein gerücht, nach ausgiebiger recherchearbeit bin ich zur überzeugung gelangt, dass es nur schilder gibt, die behaupten, dass da irgendwo ein hafen ist unter den weitgereisten menschenbergen, die an den gestaden auf und ab schwappen. man läuft ihnen solange nach, bis man müde ist und beschlieflt, doch lieber ein bier trinken zu gehen. ständig macht irgendwer fotos von irgendwas, und hinterher sieht man sich die fotos von seinen gesichtern + bierflaschen an und sagt: “da waren wir in hamburg am hafen!” obwohls den nicht gibt.

dafür gibt es eine ausgerollte 3d -late-night-werbung namens reeperbahn, auf der zwischen den touris ein paar hilflose prostituierte auf und ab hüpfen und verzweifelt versuchen, möglichst unanständig auszusehen. wären nicht ein drittel der deutschen fuflballfans ständig in hamburg damit beschäftigt, sich gegenseitig tot zu prügeln, man will nicht wissen, was sie in restdeutschland anstellten. hamburg ist notwendig, hamburg hat charakter, hamburg ist harmlos, hamburg ist wild, hamburg zeigt einem sofort alles, was man (nicht) sehen will, hamburg ist wie eine mittelschöne nutte, der man sofort mit beiden händen zwischen die beine greifen will und hamburg ist -immer- feucht und bezahlt dich hinterher dafür, dass du da warst.

auflerdem gibt es in hamburg einen jahrmarkt (keinen dom), der wunderschön ist, wenn es regnet. (was es, wie oben erwähnt, -immer- tut.) dort tranken wir sherry, aflen dinge mit salz und honig, sprachen über lsd und rosa socken und vergaflen, achterbahn zu fahren.

(2008)

 

 

[leipzig, flach]

leipzig befindet sich im leerlauf. es liegt im windschatten eines gebirges, das es seit jahrhunderten nicht mehr gibt; die leipziger spüren die abwesenheit und versuchen, sie auszugleichen. wir müssen etwas bedeutsames machen, denken sie, etwas unangreifbares, etwas ewiges, wie wärs z.b. mit … kultur! aus diesem grund versuchen alle leipziger, sich kulturell zu produzieren. sie stellen sich auf podeste und bühnen, musizieren, applaudieren, koitieren; treffen sich in kneipen, schreien und singen und konsumieren, sie suchen nach dem einem, dem großen, ihre augen gleiten ab von ihren texten und noten und demjenigen, der gerade irgendetwas vorträgt, aus dem fenster, auf den merkwürdig flachen horizont, und sie fühlen sich unbefriedigt.

die leipziger mentalität ist folge einer geografischen fehllage der stadt. es würde genügen, alles komplett vierhundert kilometer weiter in den süden zu verlegen, dann würden die leute aufhören, theatergruppen zu gründen, mehr essen, mehr renovieren, zufriedener und eingebildeter werden, kurz: wir wären in münchen.

(2008)

 

(c) Juliane Liebert, 2008